Einrichtungsideen

Mai 04, 2020

Minimalismus für Anfänger

7 min. lesen zum Thema:

Es ist die ultimative Philosophie der Einfachheit und der Ruhe. In unserem neuesten Leitfaden haben wir die Wurzeln des Minimalismus unter die Lupe genommen.

Einst ein Nischenkonzept ist „Minimalismus“ schnell zu einem Begriff geworden, der alles beschreibt, was mit Entrümpeln und Zurückschrauben zu tun hat. Wir alle sind auf der Suche nach einem einfacheren, stressfreieren Leben und Minimalismus scheint dieses Bedürfnis in einer klaren Philosophie zusammenzufassen. Doch was ist Minimalismus genau? Und woher kommt dieses allgegenwärtige Konzept? Vom Zen-Buddhismus zur New Yorker Kunstszene tauchen wir in die Welt des Minimalismus ein, um mehr herauszufinden.

Farnsworth House von Mies Van Der Rohe. Foto von Victor Grigas.

Die Wurzeln der Bewegung

Bevor der Begriff überhaupt existierte, nutzte eine Gruppe Designer und Architekten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in ihrer Arbeit einen radikal zurückgenommenen Ansatz. Der legendäre Mies van der Rohe, der am besten für seinen ikonischen Barcelona-Sessel bekannt ist, übernahm 1947 den Satz „weniger ist mehr“, eine Erinnerung daran, dass „verringern“ wirklich „verbessern“ bedeuten kann. Dieses Mantra wurde zur treibenden Kraft hinter der Arbeit von Zeitgenossen wie Frank Lloyd Wright und Le Corbusier. Doch man kann natürlich nicht über diese vor-minimalistische Phase sprechen, ohne die deutsche Bauhaus-Design-Schule zu erwähnen, dessen letzter Direktor Mies übrigens war. Der Fokus des Instituts auf Funktionalität und Schönheit industrieller Materialien wurde zum Vorbild für den aufkommenden Minimalismus.  

Thonet-Stühle. Foto von Christoph Sagel.

Die Anfänge der Philosophie

Wie alle großen Bewegungen sind die Wurzeln des Begriffs „Minimalismus“ stark umstritten. Worauf Historiker sich meist einigen können, ist, dass eine bestimmte Kunstszene, die 1960 in New York aufkam, einen Einfluss gehabt haben muss. Die abstrakte Expressionismus-Bewegung, die nach dem Zweiten Weltkrieg entstand, beschäftigte sich viel mit Freiheit und Spontanität. Künstler so wie Jackson Pollock und Lee Krasner verwendeten Farben in lebhaften und dramatischen Weisen und nutzten die Leinwand, um Emotionen und komplexe Ideen mittels kräftiger Farben und gewagter Pinselstriche zu vermitteln. 

Als Reaktion auf diesen ungezähmten Ansatz begann eine Gruppe New Yorker Künstler mit komplett neuen Methoden zu experimentieren. Emotionen, Offenheit und Impulse wurden gegen einheitlichere Kreationsmittel eingetauscht. Industrielle Materialien so wie Metall und Beton wurden zum Mittel der Wahl; die handgemachte, organische Kunst der letzten Generation wurde durch Geometrie und Wiederholung ersetzt. Im Wesentlichen nahmen diese in Manhattan lebenden Künstler von Dan Flavin und Donald Judd bis hin zu Sol LeWitt alles Unnötige weg und schufen so in einfacher Weise Kunst mit so wenigen Mittel wie möglich. Schnell wurden sie als die Minimalisten bekannt.

Donald Judd, Untitled (1991). Foto von Don Stahl.

Das minimalistische Zuhause und Japan 

Wenn es um den Wohnraum geht, so wurde der japanische Minimalismus zur Hauptreferenz. Laut Zen- und Buddhismus-Lehren konnte spirituelle Erleuchtung nur dann erreicht werden, wenn man sich aller äußeren Ablenkungen entledigte. Das Konzept von „Ma“, das sich auf die Idee des Negativ-Raums bezieht, zelebriert die Schönheit der Leere und davon, sich Zeit dafür zu nehmen, den Raum zwischen den Dingen zu schätzen. Je weniger man besitzt, desto mehr Raum gibt es, den man würdigen kann. 

Es war diese Idee, die Anhänger des japanischen Minimalismus von Marie Kondo bis Autor Fumio Sasaki, dessen Buch „Das kann doch weg!“ zur modernen Bibel für Fans des minimalistischen Lebensstils geworden ist, antrieb. Nach Jahren in einer kleinen Wohnung voller Gerümpel krempelte Sasaki sein Leben in seinen 30ern völlig um. Er trennte sich vom Großteil seines Besitzes und lebte von nun an mit nur einer Handvoll an Dingen: ein Futon, ein Laptop und einige wenige nahezu identische Oberteile und Hosen. Sein Blick aufs Leben änderte sich von Grund auf und noch wichtiger:

„Indem ich weniger Dinge um mich herum hatte, fühlte ich mich jeden Tag glücklicher. Ich beginne langsam zu verstehen, was Glücklichsein bedeutet.“

Kinuta-Terrasse von Norm Architects. Fotos von Jonas Bjerre-Poulse

Der britische Architekt John Pawson, der Kopf hinter Londons berühmtem Design-Museum, nahm diesen Ansatz, wandte ihn in größerem Umfang an und wurde so zu einem der Hauptakteure des modernen Minimalismus. Er verbrachte seine 20er als Student in Japan und konzentrierte sich sowohl auf zeitgenössische Architektur als auch traditionellen Zen-Buddhismus und schuf so seine ganz eigene Version des Minimalismus. Kein Wunder also, dass einige seiner bekanntesten Projekte Kirchen und Klöster sind.

„Vermutlich habe ich immer nach Klarheit gesucht, danach, Raum in den Dingen, die man besitzen muss, zu schaffen.“

Auch Dieter Rams, der legendäre deutsche Produktdesigner, war von Japans zurückgenommenem Ästhetik-Ansatz inspiriert und sprach oft von Geschäftsreisen, die er der Inspiration wegen in die ostasiatische Nation unternahm. „Gutes Design ist wenig Design“ war die treibende Philosophie hinter seiner illustren Karriere. Egal ob er in den 1960ern nützliche Produkte bei Braun designte oder modulare Möbel bei Vitsoe entwarf, Rams führte alles zum Wesentlichen zurück und ermutigte Konsumenten, „weniger, aber besser“ zu kaufen.

Braun TP 1 transistor radio (T 3) with phonograph (P 1) von Dieter Rams. Foto via Collection SFMOMA.

Heute ist Minimalismus zu einem weiteren Alltagsbegriff geworden. Das Konzept steckt im iPhone, das wir mit uns herumtragen, in der Inneneinrichtung des Cafés, das wir besuchen und ist die Grundlage der Achtsamkeitstipps- und tricks, die wir befolgen. Minimalismus hat still und heimlich vieles in unserem Umfeld beeinflusst, größtenteils auch, weil seine Einfachheit so zeitlos ist.

Doch wenn du ihn auf dein eigenes Leben anwenden soll, kann Minimalismus einschüchternd wirken. Daher ist es wichtig zu wissen, dass niemand von dir verlangt, alle Habseligkeiten wegzuwerfen, so wie Fumio Sasaki es gemacht hat. Stell es dir stattdessen wie eine simple Philosophie vor, die dir den Weg weist: Minimalismus ist Einfachheit. Der perfekte Ort, um mit ihm anzufangen, ist zu verändern, wie wir über Räume und Objekte denken.

A-PLACE-Apartment. Fotos von Maja Wirkus.

Hier sind fünf Tipps, die dir dabei helfen, ein minimalistischeres Zuhause zu schaffen:

Lass den Raum atmen

Der schwerste Teil nach einer Entrümpelung ist, den neu geschaffenen Raum auch tatsächlich leer zu lassen. Eine Lücke auf dem Regal oder ein leerer Streifen Boden betteln förmlich danach, gefüllt zu werden. Die Versuchung ist groß, aber erinnere dich an das Konzept von „Ma“ und lerne, die Schönheit im Negativ-Raum zu schätzen.

Weniger ist definitiv mehr

Etwas aus deinem Leben zu entfernen, das du nicht mehr brauchst, hat nichts mit Verlust zu tun. Denk daran, dass du etwas gewinnst: mehr physischen Raum, mehr Platz zum Denken und Planen, ein Gefühl der äußeren und inneren Ruhe. Der schiere Akt des Aufräumens kann unglaublich zufriedenstellend sein.

Links: Martin Ehmele, rechts: Carola Pojer.

Verstehe die Philosophie

Es hilft nicht nur, ein klares Verständnis davon zu haben, was zu tun ist, sondern auch, warum es zu tun ist. So bleibst du länger motiviert auf deinem Weg zum Minimalismus. Wir haben dir hier eine kleine Einführung zum Thema gegeben, du kannst dir jedoch gerne die Zeit nehmen, noch mehr über die Geschichte der Bewegung in Erfahrung zu bringen und so eine solide Basis für dich zu schaffen. 

Sind Objekte wirklich mit Erinnerungen verbunden? 

Oft können wir uns nicht von unseren Sachen trennen, weil sentimentale Erinnerungen mit ihnen verbunden sind. Es macht Spaß, etwas wiederzuentdecken, dass du seit Jahren nicht gesehen hast, ein Objekt, das dich zurück in eine fröhliche Zeit transportiert. Dies ist jedoch der beste Weg zu einem voll gestellten Zuhause. Trenn dich also von deinen Erinnerungsstücken, die sowieso nur verstauben. Sollte dir das zu schwerfallen, kannst du einfach ein Foto von besagtem Objekt machen, bevor du für immer auf Wiedersehen sagst, und es so im Gedächtnis behalten. 

Werde zum schlauen Konsumenten 

Es ist wichtig, dass wir lernen, weniger zu kaufen, doch das bedeutet nicht, dass du die Freude eines gut ausgewählten Kaufs für immer aufgeben musst. Kaufe stattdessen nur, wenn du musst und wähle Objekte, die zu deinem Lebensstil passen, anstatt zu versuchen, ein unpassendes Stück irgendwie passend zu machen – egal ob es dabei um nützliche personalisierte Möbel geht oder um ein Buch, das du versprochen hattest zu lesen.